Hochleistung, hohle Gassen und Blutwurst

"Da ich ein Kind war,
nicht wusste, wo aus, wo ein,
kehrte mein verwirrtes Aug'
strebend und hoffend zum Deutsch-Elkar
... und es hat mich nicht zum Manne geschmiedet"

Zweimal waren wir gut. Zweimal nur im Verlaufe unseres selbstverschuldeten Schülerdaseins hörten wir ein Kompliment ob unserer Leistung dem Gehege der Apel'schen Zähne entfleuchen. Ansonsten unterlagen wir der Säkularisierung unseres Denkens. Doch bedeutete Müßiggang unweigerlichen Eingang ins Nirwana. Und immer wieder unser Wunsch: Eins sein mit der Schöpfung, mystischer Pantheismus.

Mehr und mehr identifizierten wir uns mit den Figuren der gerade indoktrinierten Literatur. Sind wir nicht alle ein bisschen Basini? Die Essenz dieser Musil-Lektüre - Sinnlichkeit bringt Lernerfolg - erfuhr unmittelbare praktische Umsetzung in den Kleidungsgewohnheiten unserer Lehrerin. Die Sternchenhose und der Bärchenpulli vermittelten dem Schüler beim Anblick das Gefühl des ungerichteten Verlangens (aufzustehen und Herrn Peek & Cloppenburg in die ewigen Jagdgründe zu schicken). Laut Musil sucht Sinnlichkeit ein Ziel, und nicht eine Person um ihrer selbst willen. Die Sinnlichkeit bewirkt ein Fortgerissenwerden von Gefühlen, ein Hingerissenwerden zum Unterrichtsgeschehen.

Es kam nun in der neueren Gegenwart die Zeit, in der sich tendenziell das auktoriale zum personalen Verhältnis wandelte. Ein Zusammenkommen aller Unverzagten an einem nicht der Arbeit verbundenen Orthe zwecks ungezwungenen Dinierens diente unweigerlich dem Entstehen einer persönlichen Minderspannung.

Was man nicht vermutet: Auch in unserem Kurs gab es zuweilen triviale Augenblicke, die itzo zu Worte kommen wollen.

Wir verfallen nun in den Ton ausgesprochenster Wirklichkeit. "Guten Morgen mein Micky, hier ist dein Dicki". Diese Feststellung, unverbunden in den Raum geworfen, wirft unweigerlich Unmengen von Kardinalproblemen auf. Da Micky so mit seiner in sich verstrickten Psyche beschäftigt ist, bemerkt er nicht einmal die Veränderung, die in Dicki vorgeht. Wobei sich für uns die Frage stellt, ob Dicki für Micky nicht nur aus materiellen Gründen erstrebenswert ist; Dicki hätte sich das Geld für die Fröhliche Gutentag-Anzeige auch sparen können.

Viel interessanter ist doch die von Roman aufgeworfene außerunterrichtliche Frage: Schmeckt Blutwurst besser, wenn sie noch warm und flüssig ist, oder wenn sie bereits Wochen in der Tasche des Fleischfressers verbracht hat. Unverständnis ob dieser Äußerung und der damit verbundenen zum Ausdruck gebrachten Heiterkeit veranlasste Frau Apel zu bewegenden Worten wie "Auch lachen wollen!" Auch "Mitarbeiter Seiler" schaffte es immer, wenn er uns denn mit seiner geistigen Anwesenheit beglückte, durch hochqualifizierte Äußerungen das Unterrichtsgeschehen maßgeblich voranzubringen: "Nennen Sie mir bitte bekannte Zitate aus dem 'Faust'!" - "Durch diese hohle Gasse muss er kommen..."

Ein in höchstem Grade konzipierter Unterricht, die allerhöchste Kompetenz der Fachlehrerin und ihre äußerst strenge Bewertung machten den Deutsch Leistungskurs bei Frau Apel wohl zum qualifiziertesten, interessantesten und dennoch undankbarsten Kurs der Jahrgangsstufe. Wir brauchten einige Zeit, um auszutarieren, dass es nicht darauf ankommt, viel zu wissen und alles wissen zu wollen (Wagner in "Faust I"), sondern nur ständiges Streben nach Einsicht und Verständnis, was die Welt im Innersten zusammenhält (Heinrich in "Faust I"), zum verhofften Erfolg führen können.

Auch wenn es an persönlicher Herzlichkeit etwas krankte, war es vielleicht gerade diese etwas sterile und distanzierte Atmosphäre, die ein adäquates Arbeitsklima bildete. Sie wappneten uns für den ungeschützten Kampf außerhalb der Schule, Sie stellten uns auf realistische Prüfungssituationen ein.

Vielen Dank für die Erfahrung, das Wissen, die Methodik und die Arbeitsweise, die Sie uns vermittelt haben. Was die Erinnerung an Erfolg und Misserfolg der Schullaufbahn angeht, so werden Sie wohl bei allen Kursmitgliedern auf den ersten Plätzen rangieren.

Hier sitz' ich, forme Menschen Nach meinem Bilde, Ein Geschlecht, das mir gleich sei, Zu leiden, zu weinen, Genießen und zu freuen sich, Und dein nicht zu achten, Wie ich.