Kontrast, Konflikt und Konfrontation
— der Weg der Kommunikation und der Integration

Eine Klage und eine Danksagung zugleich
von der verwirrtesten Nervensäge, "Hutschi der Chinese Joe"
Huijing Zhou Von den diesjährigen Heine-Abiturienten ist jeder Vierte ausländischer Abstammung. Davon ist die Hälfte hier in Deutschland geboren worden bzw. aufgewachsen und spricht perfekt deutsch (oder zumindest "nur" so fehlerhaft, wie es unsere waschechten deutschen Kollegen auch tun). Die andere Hälfte gehört zu einer Welt, von der ein Außenstehender nur sehr wenig weiß. Ich möchte aus meiner Sicht etwas von dieser Welt verraten, obwohl wir alle jetzt auseinander gehen; denn es gibt überall Menschen, die zu jener Welt gehören.

Die Welt ist viel zu neu für mich, und ich bin viel zu neugierig für die Welt. Meine Zeit am Heine fing in der 9e an. Internationale Vorbereitungsklasse – ein klangvoller, schöner Name. Da saßen meinesgleichen in einem bescheidenen, kleinen Raum und lernten den ganzen Tag über fast nichts anderes als Deutsch. Unser Deutschlehrer, Herr Dr. Klimpe, war geduldig und verständnisvoll, genau so wie die damalige stellvertretende Schulleiterin Frau Lenkaitis, die sich immer persönlich um uns kümmerte und stets ein Ohr für uns hatte. Wir arbeiteten hart. – Es war vielleicht das letztes Mal, dass ich fleißig für die Schule gelernt habe. Aber natürlich lernte ich nicht nur für die Schule, ich lernte im wahrsten Sinne des Wortes fürs Leben. – und bekam kaum etwas von der Außenwelt mit. Nach und nach durften wir auch Stunden bei den anderen Klassen zuhören. Viel brachte uns dies jedoch nicht. Nach einem Jahr löste sich die IVK standesgemäß auf, die meisten blieben wie vorgesehen sitzen, ich jedoch kam in die 10, obwohl die anderen schon längere Zeit in Deutschland waren als ich. Ich war stolz. Ich wartete voller Aufregung auf eine ungewisse Zukunft und hatte eine unklare Hoffnung, die ich selbst nicht genau kannte.

Und es kam unerwartet. Nach einer Chemiestunde bei Herrn B. ging ich aus dem Raum, und Michael Klocke, der vor mir ging, drehte sich auf einmal um und sagte: "Also ich finde es doch besser bei Herrn D." Ich drehte mich ebenfalls um und stellte mit größtem Erstaunen fest, dass keiner hinter mir war. Denn es war das erste Mal, dass ein deutscher Mitschüler mich ohne ersichtlichen Grund "freiwillig" ansprach. Das war der Moment, da ich zu mir selbst sagte: "Du hast den ersten Schritt geschafft!" Danach hatte ich mich, extrovertiert wie ich bin, innerhalb kurzer Zeit mit einigen meiner Mitschüler angefreundet. An Exotik fehlte es mir bestimmt nicht, so wurde ich natürlich Objekt der Neugierde. Die meisten Leute trauten sich aber nicht, mich etwas zu fragen und überließen sich eher den Vorurteilen, die es für den Chinesen als solchen bekannterweise reichlich gibt. Die Lehrer verhielten sich verschieden. Manche nahmen gar keine Rücksicht auf meine Sprachmängel, und manche andere nahmen so viel Rücksicht darauf, dass es mir peinlich wurde.

Ich lernte weiterhin so, wie ich es gewohnt war und bemerkte, dass viele meiner Kollegen ganz anders arbeiteten, nämlich gar nicht. In den naturwissenschaftlichen Fächern wurde schnell meine Überlegenheit klar, gleichzeitig aber auch mein Starrsinn. Außerhalb des Unterrichts, wie z. B. bei der Unterhaltung meiner Mitschüler, bekam ich nach wie vor selten etwas mit. So wurde damals, glaube ich, die Basis dafür geschaffen, dass ich eines Tages als Nervensäge und Verwirrtester der Stufe aus der Schule werde gehen dürfen.

Es kam dazu, dass ich in dem Mathematikleistungskurs bei Herrn Grabow zugeteilt wurde. Und schnell hatte ich dort mein Zuhause gefunden. Ich konnte alles, was da gelehrt und gelernt wurde, und der wöchentlich sechsstündige Unterricht bestand für mich nur noch darin, den Herrn Lehrer bei Ungenauigkeiten und Flüchtigkeitsfehlern zu korrigieren, heimlich über das Nichtskönnen einiger Kursmitglieder zu staunen, Kaffe zum Kuchen zu trinken und ganz selten bei einer schwierigen Aufgabe meine Genialität aufblitzen zu lassen. Es störte mich auch nicht, dass die meisten Leute es oft gar nicht so genau haben wollten, wie ich es vorschlug, und im Nachhinein immer ein Krampf bekamen, wenn ich mich meldete, oder öfter noch, wenn ich ohne Meldung zu reden anfing. Es störte mich auch nicht, dass einige wie Nico Vondung mich gern nachmachten, was allerdings nicht bösartig gemeint war, denn meine Beziehung zu den übrigen Kursteilnehmer blieb prima, vielleicht weil ich sie manchmal bei dem armen Herrn Grabow rächen konnte.

Mit der Zeit lernte ich auch das Blaumachen sowie den Verzicht auf die Hausaufgaben kennen – das Erstere sowohl von den Schülern wie auch von den Lehrern – und genoss diese für mich ganz neue Erfahrung. Längst hatte ich auch gelernt, dem Lehrer gegenüber so frech zu sein, wie es früher bei uns unvorstellbar gewesen wäre. Langsam verstand ich auch einiges von dem Wortwechsel meiner Mitschüler. Meine Freunde hörten mir interessiert zu, wenn ich ihnen bereitwillig etwas von meiner Welt erzählte. Der Anpassungsprozess verlief gut, wenn auch mit unbestimmter Richtung und einigen negativen Seiten. Die Sprache lernte ich ebenfalls einigermaßen, und ich versuchte nicht, zu verstehen, was es für meine Deutschkenntnisse bedeutete, dass mache Deutschlehrer mir eine Zwei, ja sogar eine Eins gaben, während die anderen eine Vier oder eine Fünf. Solange ich im Unterricht von Herrn André auf deutsch philosophieren und auf dem Rhetorikseminar mit Herrn Steffen aus dem Stehgreif plaudern konnte, durfte mein Deutsch ja nicht allzu schlecht sein. Auch privat hatte ich immer mehr Kontakt zu meinen Stufengenossen, und ich zeigte ihnen auch dort, was für interessante Sachen es woanders auf der Welt gibt.

Das Leiden hat mich aber nie verlassen. Ich leide darunter, wie manche mich als etwas von einem anderen Stern betrachten, wie selbst meine Freunde mir hier und da etwas vorenthalten, was sie den anderen preisgeben, wie einige Leute meine für sie nicht alltäglichen Gewohnheiten verachten bzw. verspotten, und wie sowohl zahlreiche Lehrer als auch Schüler überhaupt keinen Wert darauf legen, meinen Namen – der zweifelsohne für sie nicht einfach ist – einmal zu lernen und stattdessen lieber damit spielen, indem sie ihm bunte Variationen geben. Es ist jedes Mal mein Stolz, der mich vor der Verzweiflung rettet und mir hilft, weiter aufrecht zu stehen und optimistisch zu sein. Dennoch überfällt mich immer wieder der Trübsinn, wenn ich sehe, wie die anderen "Fremden" aus unserer Stufe genau so sehr oder noch mehr als ich unter denselben Dingen leiden müssen. Es rührt mich bei der Betrachtung, wie sie ihre bittere Enttäuschung verstecken. Sie haben es besser gemacht als ich. Ich kann meine Trauer oft nicht unterbringen. Auch haben wir niemanden, dem wir dies erzählen können. Nicht einmal uns untereinander; denn jeder geht seinen Weg.

Insgesamt kann ich nun am Ende unseres Zusammenseins sagen, – und dies ist einer meiner Lieblingssprüche – es war eine Erfahrung wert. Ich habe die Welt von einem anderen Standpunkt aus gesehen sowie die Menschen, die hier leben. Ich habe ein paar anständige Leute kennen gelernt und mehr Glück gehabt als die meisten, die einen ähnlichen Weg gehen wie ich. Aber auch mit einigen dunklen Seiten des Lebens habe ich neue Bekanntschaften gemacht und bin mir nicht mehr ganz sicher, ob alle Menschen in ihrer Natur so gleich sind, wie ich einst geglaubt habe. Ich sage herzlichen Dank all den Leuten, die mich und meinesgleichen mit ihren aufmunternden Blicken und Lächeln, mit ihren Worten und Taten unterstützt haben, und ich sage denen, die uns nicht haben ernst nehmen wollen, über uns wird man noch staunen. Ich werde meinen Weg fortsetzen, mich stets der Konfrontation stellen, und immer weiter für die Kommunikation zwischen den beiden Welten kämpfen, auch wenn ich dafür immer die verwirrteste Nervensäge, "Hutschi der Chinese Joe", bleiben werde. (hz)


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